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Langenthaler, 35, sucht Begeisterung

Aktualisiert: 16. Apr. 2023

Ein Meinungsbeitrag von Patrick Jordi, Einwohner von Langenthal und unabhängiger Beobachter der lokalen Politszene.



Die Stadt befindet sich nach wie vor im budgetlosen Zustand. Bis ein rechtskräftiges Budget vorliegt, dürfen nur unumgängliche Ausgaben getätigt werden. Ein unbefriedigender Zustand, von dem ich selbst allerdings herzlich wenig mitkriege. Nach meiner Wahrnehmung geht in Langenthal alles seinen gewohnten Gang.


Offensichtlich bin ich aber nicht der Gradmesser: Auf der Website der Stadt kann nachgelesen werden, welche Bereiche und Projekte von Streichungen und Aufschüben betroffen sind. Es sind doch einige.


Muss ich ein schlechtes Gewissen haben?


Ersatzlos gestrichen sind gemäss dieser Auflistung beispielsweise die Landschulwochen der Volksschule. Durchgeführt werden soll hingegen der Ferienpass, dies jedoch ohne jegliche finanzielle Unterstützung der Stadt. Die Regionalbibliothek darf bis zum Vorliegen eines Budgets keine neuen Bücher, Filme & Co. anschaffen. Und auch die Reinigung unserer Stadt ist betroffen: Strassen werden bis auf Weiteres angeblich nur noch in reduziertem Umfang gekehrt. Es liessen sich weitere Beispiele anführen.


Wenn ich auf all die Streichungen, Kürzungen und Sistierungen blicke, kriege ich beinahe ein schlechtes Gewissen. Ein schlechtes Gewissen deshalb, weil ich als Nein-Stimmender mitverantwortlich dafür bin, dass die Vorlage im Januar bachabgeschickt wurde und die Stadt fürs laufende Jahr nun ohne Budget dasteht.


Wütende SCL-Fans und unbeliebte Steuererhöhung


Über die Gründe, weshalb es zur Ablehnung an der Urne kam, wird nach wie vor spekuliert. Wie man hört, habe die Anhängerschaft des SC Langenthal nicht unerheblich dazu beigetragen: Die SCL-Fans wollten mit ihren Nein-Stimmen wohl dem Ärger über das gescheiterte Stadion-Projekt Luft verschaffen. Und bei einer tiefen Stimmbeteiligung wie wir sie im Januar hatten, schenkt eine geballte Ladung Nein-Stimmen aus einer bestimmten Ecke natürlich umso mehr ein.


Für weitere Nein-Stimmen dürfte gesorgt haben, dass mit der Budgetvorlage eine Steuererhöhung verknüpft war. Steuererhöhungen sind halt vielen ein Graus, gerade in Zeiten mit Inflationstendenz, wo sonst schon alles teurer wird.


Und auch die Tatsache, dass man als aussenstehende Person immer wieder zu Ohren bekommt, im Stadtrat selbst sowie zwischen Stadtrat und Gemeinderat würden öfters mal die Fetzen fliegen, dürfte der Abstimmungsvorlage nicht gerade zuträglich gewesen sein. Gut möglich, dass der eine oder die andere unseren Stadträtinnen und Stadträten sowie dem Gemeinderat mit einem Nein mal einen kleinen Denkzettel verpassen wollte. So à la: «Reisst euch mal ein bisschen zusammen und betreibt endlich wieder anständige Sachpolitik!».


Emotional schlägt rational


Bei mir war’s wohl eine Mischung aus allem. Ja, ich gebe zu: Meine Nein-Stimme war eher emotional denn rational begründet. Ich weiss noch, dass ich das Abstimmungsbüchlein zur Budgetvorlage ziemlich schnell ins Altpapier geworfen hatte. Was nicht heissen soll, dass ich mir zur Vorlage überhaupt keine Gedanken gemacht hätte. Aber ich sehe die Sache halt in einem etwas übergeordneten Zusammenhang. Was das zu bedeuten hat, versuche ich zu erklären:


Als parteipolitisch inaktiver Bürger bzw. als gewöhnlicher Einwohner dieser Stadt fühle ich mich manchmal ein wenig wie eine Person, die Mitglied in einem lokalen Verein ist (z.B. in einem Gesangsverein, Turnverein, Guggenmusik etc.). Als gewöhnliches Mitglied erfreue ich mich am Zweck, an der Gemeinschaft und an den Annehmlichkeiten, die mir dieser Verein bietet (in ebendiesem Sinn bietet mir die Stadt Langenthal ja ebenfalls einiges). Dafür bezahle ich jährlich einen Mitgliederbeitrag (als Bürger entrichte ich Steuern), und erledige auch sonst alle Pflichten, die mir vom Verein (bzw. von der Stadt) auferlegt werden.


Wenn ich zufrieden bin, stelle ich keine dummen Fragen


Bleiben wir mit unserem Gedankenspiel nun beim Verein: Mit der Übereinkunft von Geben und Nehmen bin ich als gewöhnliches Vereinsmitglied im Grossen und Ganzen sehr zufrieden. Was mich vordergründig interessiert, ist eigentlich, dass im Verein möglichst alles rund läuft. Will heissen: Dass wir einen funktionierenden Vorstand haben, dass spannende Projekte in der Pipeline sind, dass die Kommunikation sichergestellt ist, dass wir eine gemeinsame Vision haben usw.


Stimmen diese Voraussetzungen, stelle ich als gewöhnliches Vereinsmitglied auch keine dummen Fragen, wenn an der Hauptversammlung ein Routinegeschäft wie etwa das Budget fürs nächste Vereinsjahr präsentiert wird. Als 0815-Mitglied sind mir die Finanzen grundsätzlich sowieso ziemlich egal. Ich verstehe davon eh viel zu wenig. Die Hauptsache ist doch, dass der Laden läuft und ich emotional mitgerissen werde.


Wehe, wenn Sand im Getriebe ist!


Wenn also im Verein die Rahmenbedingungen stimmen, wird das Budget in aller Regel einfach durchgewinkt. Ja, mehr noch: Wenn es mir pudelwohl ist und die Umstände super sind, nehme ich sogar eine Erhöhung des Mitgliederbeitrags in Kauf. Schliesslich erkenne ich den Sinn dahinter und weiss, dass ich davon letztlich in der einen oder andern Form profitieren werde.


Anders verhält es sich, wenn ordentlich Sand im Getriebe ist: Disharmonien im Vorstand, eine grottige Kommunikation, fehlende Visionen – alles Gründe dafür, weshalb ich als normales Vereinsmitglied stutzig werde und eventuell sogar mit Misstrauen reagiere. Unter solchen Umständen hinterfrage ich die Aktivitäten der Entscheidungsträger womöglich doppelt, bin grundsätzlich etwas argwöhnisch eingestellt und reagiere möglicherweise emotionaler als sonst. Rationale Überlegungen rücken in den Hintergrund. Und so kann es schnell einmal passieren, dass ich – denn in Finanzangelegenheiten blicke ich als 0815-Mitglied wie gesagt sowieso nicht wirklich durch – einem Routinegeschäft wie der Budgetgenehmigung an der HV einfach mal eine Abfuhr verpasse. Erst recht, wenn damit noch eine Erhöhung des Mitgliederbeitrags einhergeht.


Wie im Verein, so auch in der Stadt


Mir ist bewusst, dass man die Geschäfte einer Stadt nicht eins zu eins mit den Aktivitäten eines Gesangs- oder Turnvereins vergleichen kann. Denn die Interessen von Vereinsmitgliedern dürften wesentlich homogener sein als diejenigen von Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt. Auch gibt es in einer Stadt zusätzliche bürokratische, rechtliche und anderweitige Hürden, die genommen und in die Geschäfte miteinbezogen werden müssen. In einem Verein geht das alles viel einfacher vonstatten.


Und trotzdem: Gemäss meinem Verständnis können die Grundzüge einer Stadt sehr wohl bis zu einem gewissen Grad mit der Struktur eines Vereins verglichen werden, zumal beide Institutionen demokratisch organisiert sind. Hüben wie drüben braucht es zudem verlässliche, kooperative und charismatische Führungspersonen bzw. Entscheidungsgremien. Eine saubere, zeitgemässe Kommunikation ist ebenfalls in beiden Fällen unerlässlich. Und mitreissende Projekte mit Visions-Charakter werden sowohl in einem Verein als auch in einer Stadt benötigt, um die Leute hinter sich zu scharen.


Langenthal hat Sand im Getriebe


Nun, meiner Meinung nach hat die Stadt in den eben genannten Punkten in den letzten Jahren eher eingebüsst denn zugelegt. So sind etwa die Disharmonien im Stadtrat sowie zwischen Stadt- und Gemeinderat eine traurige Tatsache. Hinter vorgehaltener Hand ist immer wieder von «Grabenkämpfen» die Rede, die das erträgliche und eigentlich durchaus wünschenswerte Mass des urdemokratischen Ringens um die besten Meinungen und Argumente deutlich übersteigen.


Wünschenswert wären vor einem solchen Hintergrund stattdessen Exponentinnen und Exponenten, die ihre Egos etwas zurückzuschrauben wüssten und die wieder stärker zugunsten der Sache politisieren würden. Das käme auch bei den Leuten besser an. Denn wie in einem Verein auch, schenken in einer Gemeinde die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihr Vertrauen vor allem denjenigen Leitfiguren, deren Handeln und Politisieren verlässlich, sachlich, kooperativ und charismatisch sind.


Dann ein paar Worte zur Kommunikation: Ich selbst kann nur die externe beurteilen, also das, was gegenüber der breiten Öffentlichkeit kommuniziert wird. Man darf attestieren, dass ein Informationsfluss zwar stattfindet. Aber wirklich packend, modern und über diverse Kanäle/Medien hinweg wird die Kommunikation seitens Stadt nach meinem Dafürhalten nicht aufbereitet. Heisst: Echte Begeisterung wird damit in der Bevölkerung nicht geweckt. Und gerade die jüngeren Stimmbürgerinnen und Stimmbürger lockt man damit wohl kaum hinter dem Ofenbänkli hervor.


Was ist Langenthals Vision?


Darüber hinaus frage ich mich, was unsere Vision ist. Haben wir für Langenthal überhaupt eine? Ich weiss es nicht. Falls nein, ist dies ein schlechtes Zeichen. Und falls doch, ist diese nicht wirklich zu mir durchgedrungen. Dabei wäre eine allgemein bekannte und verständliche Vision, an die man als Bürgerin oder Bürger glauben kann, äusserst wichtig.


Projekte und (Bau-)Vorhaben mit Visions-Charakter mögen in Langenthal zwar durchaus existieren bzw. werden aktuell tatsächlich umgesetzt (siehe Bahnhof). Davon mal abgesehen vermisse ich allerdings Ideen, die den Funken wieder einmal so richtig auf die Bevölkerung überspringen lassen. Etwa ein Projekt, das sich am Schluss sowohl für Einzelpersonen wie auch für Vereine, Firmen und Organisationen gleichermassen auszahlt.


Frage: Was passiert beispielsweise mit dem Areal der Alten Mühle, nachdem die Zwischennutzung ausgelaufen ist? Oder welche Pläne hat man fürs zentrumsnahe Markthallenareal mit der absolut top gelegenen, jedoch sanierungsbedürftigen Markthalle? Vielleicht bin ich einfach zu uninformiert oder zu weit weg vom Geschehen, als dass ich die Antworten auf diese und andere Fragen kennen könnte. Vielleicht kenne ich die Antworten aber auch deshalb nicht, weil sich in unserer Stadt eine gewisse Visionslosigkeit breitgemacht hat. Oder aber, weil über die Visionen zu wenig gesprochen wird.


Vorübergehende Trotzhaltung


Aus all diesen Gründen sehe ich mich als Bürger von Langenthal im Rahmen der Budgetdiskussionen leider ein bisschen in die Rolle des mürrischen, eher argwöhnischen Vereinsmitglieds gepresst. Zu viele Entwicklungen geben mir derzeit zu denken; und so richtig abgeholt fühle ich mich von der Verwaltung und unseren Politikerinnen und Politikern leider auch nicht. Es sind diese Umstände, mit denen meine – zugegebenermassen – etwas «trötzelige» Haltung zusammenhängt.


Wirklich konstruktiv und zielführend ist diese Haltung natürlich nicht, dessen bin ich mir bewusst. Vermutlich werde ich daran schon bald etwas ändern, denn gemäss Mitteilung der Stadt soll am 18. Juni erneut an der Urne über das Budget abgestimmt werden. Nach aktuellem Kenntnisstand werden den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zu diesem Zeitpunkt zwei Varianten vorgelegt: eine mit Steuererhöhung (Variante 1) und eine ohne (Variante 2).


Ausblick und Wunschvorstellung


Damit die Kirche im Dorf bleibt, werde ich voraussichtlich für Variante 2 ein Ja einlegen. Allein schon deshalb, weil ich als Stimmbürger mithelfen möchte zu verhindern, dass letztlich der Kanton bei der Budgetgestaltung einschreiten muss (was definitiv der Fall sein wird, wenn die Stadt nicht imstande ist, bis Ende Juni ein genehmigtes Budget vorzulegen).


Ein halbes Jahr später, im Winter 2023, wird die Bevölkerung dann bereits über das Budget 2024 abstimmen können. Gut möglich, dass uns das Thema Steuererhöhung zu diesem Zeitpunkt bereits wieder einholen wird (insbesondere dann, wenn im Juni die Variante ohne Steuererhöhung angenommen werden sollte).


Wenn es so weit kommt – sei’s drum. Ich für meinen Teil bin bereit, mich vom Vorhaben einer Steuererhöhung doch noch überzeugen zu lassen. Vorher muss sich jedoch meine Stimmung wieder etwas aufhellen. Das täte sie, wenn einerseits spürbar würde, dass die nicht besonders zielführenden Grabenkämpfe im Parlament sowie das intensive Ringen zwischen Gemeinde- und Stadtrat etwas nachlassen würden. Andererseits wünschte ich mir eine etwas mitreissendere Kommunikation seitens Stadt. Vorzugsweise eine über visionäre Projekte und Ideen, die es schaffen, meine Begeisterung neu zu entfachen. Schliesslich möchte ich mich mittel- bis langfristig wieder als loyales, zufriedenes Vereinsmitglied bezeichnen können.

Wer bloggt hier?


Patrick Jordi war von 2011 bis 2017 Journalist beim BZ Langenthaler Tagblatt. Heute ist der 35-Jährige – wenn nicht gerade auf Reisen – als freischaffender Texter, Lektor und Journalist tätig. Als Wähler, Steuerzahler, Wirtschaftsvertreter, Fasnächtler, Erholungssuchender, Vereinsmensch, Restaurantbesucher usw. sieht Patrick Jordi die Stadt aus verschiedenen Blickwinkeln. Sein Elternhaus war bürgerlich geprägt. Sein heutiges Beziehungsnetz umfasst Kontakte aus allen lokalpolitischen Richtungen. Unter anderem deshalb fühlt sich Patrick Jordi bis heute keiner Langenthaler Partei zugehörig. Er ist nicht parteipolitisch tätig. Im Rahmen einer losen Zusammenarbeit nimmt der ehemalige Journalist für die FDP Langenthal jedoch in unregelmässigen Abständen die Rolle des aussenstehenden Beobachters ein und bloggt über seine Ansichten zu Langenthal.

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